Strände voll von Plastikmüll. Riesige Teppiche von Plastik im Meer. Diese Bilder erreichen uns täglich. Ist Plastik das Hauptproblem?
Was alles im Meer landet…
Plastik
Die Plastikverschmutzung der Weltmeere ist ein Problem, keine Frage. Zwischen 5 und 13 Mio. Tonnen Kunststoff gelangen pro Jahr in die Meere. Diese Verschmutzung ist vor allem Folge von fehlendem Umweltbewusstsein und nicht vorhandener Abfallinfrastruktur in Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens und Afrikas. 97% vom Kunststoffabfall im Meer stammt von ausserhalb Europas!1
"Auffällig oft wird der Anschein erweckt, Plastikmüll sei die eigentliche Geissel der Meere. Das jedoch ist eine verheerende Fehleinschätzung."
Nikolaus Gelpke, Meeresbiologe3
Dünger, Chemikalien, Hormone…
Durch die Landwirtschaft gelangen Nährstoffe (stickstoffbasiert) in die Meere. Diese begünstigen das Algenwachstum. Mit dem Effekt, dass dem Wasser Sauerstoff entzogen wird, welcher für die anderen Meeresbewohner lebensnotwendig sind.
Weiter gelangen durch den landwirtschaftlichen, aber auch industriellen Einsatz Pestizide und andere Toxine ins Wasser. Diese Stoffe, beispielsweise PCB, DDT und Schwermetalle wie Quecksilber, sind persistent und akkumulieren in unserer Nahrungskette.4
Professor Dr. Bernhard Wehrli von der ETH Zürich sieht hierin eine grössere Gefahr als den Kunststoffeintrag in die Meere: „Hormone und Pestizide sind bis zu 100.000 Mal schädlicher. Denn diese haben eine biologische Wirkung, sie wurden ja genau dafür entwickelt. Sie sind löslich und werden leicht aufgenommen.“ Und weiter: „Ich gehe nicht davon aus, dass Mikroplastik gefährlich für uns ist.“5
Öl
Die Nutzung von Öl führt immer wieder zu Spills die Jahrzehnte persistent sind. 46% stammen aus landbasierten Quellen, 32% vom Betrieb von Öltankern und 13% aus der Offshore-Ölförderung.4
Quecksilber
Quecksilber wird ebenfalls ins Meer eingetragen, durch chemische Umwandlungsprozesse entsteht das sehr toxische Methylquecksilber. Dieses reichert sich in der Nahrungskette an. Vor allem grössere Jäger wie der Thunfisch sind davon betroffen – ein Fisch der sehr oft auf unseren Tellern landet.6
Schwermetalle
In vielen Speisefischen wurden die Schwermetalle Blei und Cadmium nachgewiesen. In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurden dazu die folgenden Fische untersucht: Makrele, Lachs, Aal, Forelle, Sprotten. Beim Blei wurde beispielsweise beim beliebten Lachs ein Mittelwert von 57.81 Mikrogramm pro Kilogramm gemessen.7
Das sind bedenkliche Feststellungen. Das deutsche Bundesministerium für Umwelt schreibt auf seiner Website: „Im April 2010 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein Gutachten zu Blei in Lebensmitteln veröffentlicht. Bei der Auswertung von wissenschaftlichen Studien zur Giftigkeit von Blei für den Menschen fand die EFSA keine Wirkungsschwelle, unterhalb derer gesundheitliche Schädigungen für den Menschen sicher ausgeschlossen werden können; dieses Ergebnis hat der Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe der Vereinten Nationen (JECFA) im Juni 2010 bestätigt. Beide Gutachten zeigen auf, dass Menschen, allen vorweg besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kleinkinder und Schwangere, viel empfindlicher auf die Aufnahme von Blei reagieren als bisher angenommen. Die Belastung von Lebensmitteln mit dem Schwermetall Blei erscheint vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse daher heute noch weniger akzeptabel als früher.“8
Die Meere werden immer saurer
Wenn fossile Energieträger verbrannt werden gelangen die Abgase nicht nur in die Luft. Die Wasseroberflächen absorbieren etwa einen Viertel der Emissionen. Dies verändert den pH Wert der obersten Wasserschichten und macht das Meer saurer. Dieser Prozess läuft schneller ab als in den letzten 300 Millionen Jahren! 2 Allein seit Beginn der Industrialisierung hat sich der pH Wert um 30% erhöht. Der Meeresbiologe Nikolaus Gelpke beschreibt die Folgen: „Mit der plötzlichen und massiven Änderung des pH-Werts verändern sich diese Systeme. Kalkalgen wie etwa Coccolithophoriden – eine Planktonart und somit Grundlage des Lebens in den Ozeanen und die lebensnotwendige Basis der Nahrungskette – verlieren ihre Kalkschalen; bei Korallen, Schnecken oder Muscheln nimmt die Kalkbildung um 22 bis 39 Prozent ab; bei kalkbildenden Meeresorganismen zeigt sich ein bis zu 17 Prozent geringeres Wachstum. Die Auswirkungen der Versauerung erfassen nicht einzelne Organismen, sondern verändern das gesamte Ökosystem.“3
Die Versauerung führt aber auch zu einem Ausbleichen der Korallenriffe. Diese Farbreize sind aber für viele Meeresbewohner wichtig bei der Orientierung und Futterjagd.2
Die Meere werden immer wärmer
Die Meere erwärmen sich im Zuge des Klimawandels ebenfalls. Der Meeresbiologe Nikolaus Gelpke erklärt: „Ein bekanntes Opfer der höheren Temperaturen sind die Korallenriffe: Bereits ein Temperaturanstieg von ein bis drei Grad kann zur sogenannten Korallenbleiche führen und ist für inzwischen mehr als 20 Prozent unwiderruflich zerstörte und für mehr als 30 Prozent stark geschädigte Riffe verantwortlich. Auch Fische wie etwa der Kabeljau leiden unter der Erwärmung: Ein Anstieg von nur drei Grad Celsius lässt bis zu 40 Prozent des Laichs, also der Embryonen, sterben, die Versauerung verstärkt diese Wirkung zusätzlich. Ähnliches zeigt sich beim Wolfsbarsch, bei den Herzmuscheln, Miesmuscheln oder Jakobsmuscheln. In der Ostsee ist der Dorsch längst rar geworden und in nördlichere Gewässer gewandert.“3
Die Meere werden immer lauter
Wasser leitet Schallwellen besser als Luft. Zahlreiche Meeresbewohner senden zur Kommunikation Töne aus, bekannt sind dafür Wale und Delfine. Heute befinden sich permanent rund 60.000 Fracht- und Containerschiffe auf hoher See. Die Lärmemissionen können sich im Wasser gut ausbreiten und stören die Sensorik von vielen Meeresbewohnern. Ein weiteres Problem sind spezielle Schiffe die Ölvorkommen suchen und dazu alle 10-12 Sekunden Druckluftstösse abgeben, die bis zu 2500 Meilen weit von der empfindlichen Sensorik von Walen verspürt werden können.2
Die Meere werden immer leerer - Überfischung
Heute isst jeder Mensch 19,2 Kg Fisch pro Jahr – das ist etwa doppelt so viel wie vor 50 Jahren. 2012 wurden weltweit knapp 80 Millionen Tonnen Meeresfisch gefangen. Zwischen 1970 und 2010 gingen die Fischpopulationen weltweit um 50% zurück.9
Bei weit verbreiteten Speisefischen wie Schwertfisch, Markelen und Thunfisch gingen die Bestände sogar um 90% zurück! Das verändert die Ökosysteme im Meer. Die Fischerei führt auch zu viel Beifang: Schildkröten, Delfine, Haifische und Seevögel. Dieser Beifang wird wieder ins Meer geworfen, die Tiere sind aber zu diesem Zeitpunkt oft schon tot.10
Verheerend ist auch das Fischen durch sogenannte Bottom Trawlers – das sind Netze die am Meeresgrund fischen und zerstören Korallen und Meerespflanzen die dort wachsen.10
Fazit: es gibt viele Bedrohungen für die Meere
Plastikmüll spielt dabei nicht die wichtigste Rolle. Dennoch gehört Kunststoffabfall nicht in die Meere, und durch verbessertes Abfallmanagement in den Ländern die den Hauptanteil beitragen (China, Südostasien) soll der Eintrag reduziert werden.
Das von den Medien gehypte Thema darf aber nicht den Blick auf die anderen, gefährlicheren Bedrohungen für die Meere verstellen. Hier haben die Medien auch eine umweltpolitische Verantwortung.
1 European Commission, A European Strategy for Plastics in a Circular Economy, Brüssel, 16.01.2018
2 Ocean Pollution, The Dirty Facts, National Resource Defence Center NRDC, New York, 2018
3 Plastik im Meer ist ein Problem – doch bei weitem nicht das grösste, Nikolaus Gelpke in NZZ, Zürich, 15.08.2018
4 Sources an Effects of Marine Pollution; Global Development Research Center GDRC, Kobe, 2019
5 «Herr Professor, wie gefährlich ist Mikroplastik im Darm?», Prof. Dr. Bernhard Wehrli im Tagesanzeiger, Zürich , 26.10.2018
6 Marine Algensedimente als riesige Quecksilberspeicher, Analytik News, Ober Ramstadt, 2018
7 Cadmium and Lead Content in Chosen Commercial Fishery Products Consumed in Poland and Risk Estimations on Fish Consumption, Winiarska-Mieczan et. al. , Lublin, 2017, publiziert bei NCBI National Center for Biotechnology Information, US National Library of Medicine, Bethesda
8 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit BMU, Website, „Blei in Lebensmitteln – Hintergrundinformationen“, Stand 22.07.2015, Berlin
9 Fish Forward Projekt, WWF-EJF, Website, 2019
10 Oceana – Protecting the World’s Oceans, Website, Washington, 2019