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Eine neue europäische Verpackungsverordnung in Sicht

Eine neue europäische Verpackungsverordnung in Sicht

| Author: Patrick Semadeni

Am 30. November 2022 hat die EU Kommission ihren Vorschlag für eine neue Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgestellt. Diese Verordnung wird erhebliche Auswirkungen auf Verpackungen haben. Eine kritische Betrachtung.

Rückblick: Kreislaufwirtschaft als Treiber

Bereits im Dezember 2015 verabschiedete die Europäische Kommission den ersten Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft. Dieser Plan beinhaltete auch Massnahmen  um «wichtige Abfallströme» wie «Siedlungs- und Verpackungsabfälle» wiederzuverwenden oder zu recyceln.1 Dieser Aktionsplan führte zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG, in welcher Verpackungen geregelt sind. Die Änderungsrichtlinie (EU) 2018/852 führte auch verbindliche Recyclingziele für Verpackungsabfälle ein. Für Kunststoffe beispielsweise 50% bis Ende 2025 und 55% bis Ende 2030.

Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2018 wird erstmals gefordert, dass alle Kunststoffverpackungen bis 2030 recycelbar sein müssen.2

Am 16. Januar 2018 schliesslich präsentierte der damalige EU Kommissar (heute Vizepräsident) die Europäische Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft, deren zentraler Punkt auch die Recyclingfähigkeit von Kunststoffverpackungen darstellt.3

Diese Forderung wird im Green Deal der Kommission erneuert, dazu kündigt die Kommission darin an, Massnahmen gegen Einwegkunststoffe durchzuführen.4 Eine direkte Folge davon ist die Richtlinie (EU) 2019/904 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt, besser bekannt als «Einwegplastik-Richtlinie». Diese Richtlinie enthält auch das Verbot von einigen Produkten. Im Teil B des Anhangs dieser Richtlinie sind neue Produktekategorien genannt, beispielsweise Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen und diverse Artikel aus expandiertem Polystyrol (EPS).

Die Kunststoffstrategie der EU wird im neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vom März 2020 bestätigt.5

In Umsetzung der Kunststoffstrategie, des Green Deals und des neuen Aktionsplans hat die Europäische Kommission am 30. November 2022 einen Vorschlag für die Revision der geltenden Richtlinie vorgelegt, die unter der Bezeichnung «PPWR» (Packaging and Packaging Waste Regulation) bekannt wurde.6

Im Moment ist die PPWR noch nicht in Kraft, die Behandlung in den zuständigen Kommitees des Europäischen Parlaments und im Rat der Europäischen Union findet derzeit statt. Eine Inkraftsetzung wird aber noch während der laufenden Legislatur erwartet, die im Mai 2024 endet.

Die neue PPWR – was steht drin?

Alle Kunststoffverpackungen müssen bis 2030 recycelbar sein

Bis 2030 müssen alle Verpackungen recycelbar sein, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich. Das heisst, es muss eine Rezyklierfähigkeit «at scale» vorhanden sein. Nach den Vorstellungen der Kommission müssen 75% der EU Bürger:innen Zugang zu einem Recyclingsystem haben. Das wird in der Umsetzung aber sehr schwierig, weil es kaum möglich sein wird, innert den wenigen Jahren bis 2030 die benötigte Infrastruktur aufzubauen.

Vorgeschriebener Rezyklatanteil

Für Kunststoffverpackungen werden in zwei Stufen ab 2030 und ab 2040 Rezyklatanteile vorgeschrieben, auch für «contact sensitive» Verpackungen, also zum Beispiel Lebensmittelverpackungen:

 ab 2030ab 2040
für «contact sensitive» Verpackungen aus PET als Hauptbestandteil30% 
für «contact sensitive»* Verpackungen aus anderen Polymeren, ausser Einweg-Getränkeflaschen10% 
für «contact sensitive» Verpackungen aus Kunststoff, ausser Einweg Getränkeflaschen 50%
für Einweg-Getränkeflaschen30%65%
für alle anderen Verpackungen35%65%

*Ausgenommen sind Primärverpackungen für Humanarzneimittel, Tierarzneimittel, Medizinprodukte, In Vitro Diagnostika sowie Umverpackungen für Humanarzneimittel und Tierarzneimittel, wenn die Verpackungen notwendig sind, um die Qualität der Arzneimittel zu bewahren. Ebenso werden kompostierbare Verpackungen davon ausgenommen.

Die Frage hier lautet: gibt es bis dahin genügend geeignete Rezyklate? Dazu müssen die Sammelsysteme etabliert sein und die Aufbereitungsinfrastruktur vorhanden sein. Das ist sehr fraglich. Immerhin lässt sich die Kommission eine Hintertür offen, diese Vorgaben unter bestimmten Umständen zu revidieren.

Unverständlich hingegen, dass diese Vorgaben nur für Kunststoffe gelten, nicht aber für andere Werkstoffe. Das ist diskriminierend.

Vorgegebene Recyclingraten

Wie bereits unter geltendem Recht wird bis Ende 2030 für Kunststoffverpackungen eine Recyclingrate von 55% gefordert. Gemessen wird neu nicht mehr die Menge, die zum Recycling angeliefert wird, sondern die Menge, welche in den Extruder geleitet wird.

Ob diese Ziele erreicht werden hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, Komplexität aus dem System zu nehmen. Bei PET Getränkeflaschen erreichen wir heute schon Recyclingraten von 81.2 % (Flasche-zu-Flasche) infolge Separatsammlung und geringer Komplexität beim Material.7

Unverständlich auch, dass keine Ausnahmen für kritische Verpackungen – beispielsweise für den Gefahrguttransport – gewährt werden.

Refill- und Reusequoten

Die PPWR sieht für bestimmte Verpackungen Refill- und Reuse-Quoten vor. Die Kriterien, wann eine Verpackung wiederverwendbar ist, sind ebenfalls in acht Punkten festgelegt. Es genügt nicht, eine Verpackung so zu gestalten, dass sie mehrwegfähig ist. Es muss auch in der Praxis ein System vorhanden sein, welches die Verpackungen zurücknimmt und rekonditioniert (z.B. wäscht):

 ab 2030ab 2040
Getränke für Take Away20%80%
Essen für Take Away10%40%
Alkohol (ausser Wein):10%25%
Wein (ausser Schaumwein):5%15%
Nicht-alkoholische Getränke (ausser Milch):10%25%
Transportverpackungen (Paletten, Boxen etc.):30%90%
Transportverpackungen Non Food e Commerce10%50%
Umverpackung Folien und Bänder10%30%
Umverpackung (ausser Kartonnagen!):10%25%

Soweit die Vorgaben. Wie sind diese zu beurteilen? Grundsätzlich ist Mehrweg dann einzusetzen, wenn die Umweltbelastung geringer ausfällt als bei Einwegprodukten in einem Recyclingkreislauf. Das ist in vielen Anwendungen der Fall, nicht aber generell. Vieles hängt davon ab, wie die Transportwege ausgestaltet sind (Distanzen, Transportmittel) sowie wie viele und welche Ressourcen der Reinigungsprozess einfordert. Eine belastbare Antwort können nur wissenschaftliche Methoden liefern wie ein Life Cycle Assessment nach ISO 14040.

Viele Pflichten in Kennzeichnung und Information

Die PPWR legt fest, wie Verpackungen künftig gekennzeichnet werden müssen.  So müssen diese dreieinhalb Jahre nach Inkraftsetzung der Verordnung ein Label tragen, welches über die Materialzusammensetzung Auskunft gibt.

Es soll weniger Abfall generiert werden

Die PPWR schreibt den Mitgliedstaaten schliesslich vor, bis 2040 15% weniger Verpackungsabfall pro Kopf zu produzieren.

Weitere Bestimmungen

Die PPWR enthält weitere Bestimmungen. Hier finden Sie eine Zusammenfassung.

Kann man so ein Regelwerk umsetzen?

Das ist angesichts der Flut von Verpackungen in Europa, die täglich bewegt werden, sehr fraglich. Bereits bei der Umsetzung der Einwegplastikrichtlinie – immerhin ist diese am 3. Juli 2019 in Kraft getreten – sind noch lange nicht alle Länder auf Kurs. Am 29. September 2022 hat die Europäische Kommission rechtliche Schritte gegen 11 Länder eingeleitet, welche die Richtlinie nicht konform umgesetzt haben.8

Brauchen wir in der Schweiz auch so eine Verordnung?

Was wir in der Schweiz brauchen ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für Kunststoffverpackungen. Mit einer Recyclingrate von unter 10% bezogen auf alle Kunststoffabfälle liegen wir weit weg von einer Kreislaufwirtschaft.9

Das beginnt mit Rechtssicherheit, wie mit dem Siedlungsabfall umzugehen ist. Dort befindet sich das Gros der Kunststoffverpackungen. Aktuell untersteht der Siedlungsabfall gemäss Artikel 31 b Abs. 1 einem staatlichen Abfallmonopol, dessen Träger die Kantone sind. Allzu oft werden Kunststoffverpackungen in die thermische Verwertung in Kehrichtverbrennungsanlagen geleitet. Hier müssen die Stoffströme so gelenkt werden, dass Kunststoffverpackungen in ein System der Wiederverwendung oder des Recyclings geleitet werden. Dazu bietet die aktuell laufende Revision des Umweltschutzgesetztes USG eine grosse Chance. Der Nationalrat hat in der Sondersession vom Mai hier bereits positiv entschieden, nun wird der Ständerat als nächstes die Vorlage debattieren, voraussichtlich im Herbst oder eher im Winter.

Wichtig ist, dass private Branchenorganisationen sich zu einem System mit ambitionierten Zielen zusammenschliessen kann. Ein solches Projekt ist mit der Sammlung 2025 unter der Leitung von Swiss Recycling auch in den Startlöchern.10

Dann braucht es in der Schweiz keine derart umfangreiche Regulierung wie in der EU. Bedingung ist aber, dass die Industrie entschlossen, rasch und wirkungsvoll handelt.

 

 

1 Europäische Kommission, COM(2015)614, Brüssel, 2.12.2015
2 Europäische Kommission, COM(2017)650, Brüssel, 24.10.2017
3 Europäische Kommission, COM(2018)28, Brüssel, 16.1.2018
4 Europäische Kommission, COM(2019)640, Brüssel, 11.12.2019
5 Europäische Kommission, COM(2020)98, Brüssel, 11.3.2020
6 Europäische Kommission, COM(2022)677, Brüssel, 30.11.2022
7 Bundesamt für Umwelt BAFU, Berechnung der Verwertungsquote von PET-Flaschen, Bern, 5.3.2023
8 Europäische Kommission, Circular Economy: Commission takes action to reduce waste from single use plastics, Brüssel, 29.9.2022
9 Bundesrat, Kunststoffe in der Umwelt, Bern, 23.9.2022
10https://www.circular-economy.swiss/sammlung-2025/ 

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